ERSTES TESTLESEN

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Das erste Testlesen sollte erfolgen, sobald man den Plot skizziert hat. Ja, das ist zu dem Zeitpunkt nichts weiter als eine Skizze, keine fertig ausgearbeitete Geschichte, aber genau darum geht es auch. Es geht um den Plot als solchen. Ist er wirklich so genial, ausgeklügelt, in sich schlüssig, logisch und lückenlos, wie Sie denken?
Denn sollte er das nicht sein: Warum sich die Mühe machen, das alles auszuarbeiten, wenn die Geschichte keinen interessiert und nicht mal ansatzweise funktioniert?

Man hört immer wieder den Rat, Fremde testlesen zu lassen, da Familienangehörige und Freunde dazu neigen, zu nett zu sein. Prinzipiell ist das richtig, aber entscheidend ist nicht, wer die Leser sind, sondern was man sie fragt.
Drückt man jemandem, egal, ob es die beste Freundin oder ein vollkommen Fremder ist, eine Geschichte in die Hand und fragt später: "Wie findest du es?", wird man so gut wie nie eine Antwort bekommen, mit der man etwas anfangen kann.

Überlegen Sie sich an diesem Punkt genau, was Sie überprüfen wollen, und stellen Sie eine Liste mit Fragen zusammen - nicht zu viele, sonst überfordern Sie den Testleser.
z. B. "Verstehst du, was es mit X auf sich hat?", "Was hast du gedacht, als Charakter A das erste Mal aufgetaucht ist?", "Findest du das und das schlüssig erklärt?" usw.

Indem Sie gezielte Fragen stellen, geben Sie dem Testleser die Möglichkeit, sich darauf zu konzentrieren, worum es wirklich geht. Er soll nicht mehr irgendeine Meinung abgeben, sondern kann seine Gedanken bündeln, und geht vielleicht auch über die Ursprungsfrage hinaus, z. B. "Das verstehe ich, aber dafür das nicht."

Somit kann man bei diesem ersten Testlesen die Geschichte durchaus an Bekannte geben, zumal die eher Verständnis dafür haben, dass der Text noch nicht fertig ist. Bei Fremden kann es in diesem Stadium vorkommen, dass auch noch ungefragt Anmerkungen zu Stil, Rechtschreibfehlern etc. kommen, über die Sie sich bloß ärgern werden, weil es nicht das war, wonach Sie gefragt haben.
Erklären Sie ausdrücklich, dass es sich um einen Rohentwurf handelt, um den reinen Plot, und dass es Ihnen darum geht, festzustellen, ob es sich überhaupt lohnt, diesen Entwurf auszuarbeiten.

Am besten geben Sie den Text an drei Personen. Wenn Sie nur eine Person haben und das ist Ihre beste Freundin, wird diese vermutlich die gleichen Interessen haben wie Sie und Fehler im Plot nicht unbedingt bemerken. Wenn Sie zwei Personen haben und eine findet die Geschichte gut, die andere schlecht, nützt Ihnen das auch nichts. Bei drei Personen können Sie besser abwägen, was tatsächlich gut bzw. schlecht ist.

Werten Sie die Antworten, die Sie bekommen, sorgfältig aus. Was ist Geschmackssache? Was ist eine Idee, die Sie einbauen könnten? Was ist ein Hinweis auf einen wirklichen Logikfehler?
Die Antworten helfen Ihnen, sich selbst zu reflektieren, denn genau das ist die Schwierigkeit, wenn man mit seinem Werk verwoben ist.

Egal, was man Ihnen antwortet, fassen Sie es nie als negative Kritik auf. Sie haben sich dann eben doch nicht so präzise ausgedrückt, wie Sie dachten. Wenn Sie einem Testleser erklären müssen, was Sie mit diesem oder jenem gemeint haben, dann liegt das nicht am Leser, sondern an Ihnen. Das ist nicht tragisch, Sie haben vielleicht nur etwas nicht bedacht, sich missverständlich ausgedrückt oder die Information falsch platziert. Schreiben Sie es anders.

Lesen Sie zwischen den Zeilen. Eine gelangweilte Antwort kann bedeuten, dass das alles nicht so spannend ist, wie Sie dachten, oder der Testleser hatte eigentlich gar keine Lust.
Überdenken Sie jede Antwort und Meinung, die Sie erhalten. Manche helfen Ihnen kein Stück. Das ist so. Verwerfen Sie sie aber auch nicht leichtfertig. Vielleicht bringt es Sie auf eine gute Idee, wie Sie die Geschichte weiterentwickeln könnten.

Anhand dessen bauen Sie Ihren Plot nun um oder aus, kürzen, fügen hinzu - und setzen dies natürlich auch in Ihrer Skizze um. Jetzt "steht" Ihr Plot, und Sie können anfangen, Ihre Skizze auszuarbeiten und auszuschmücken, wobei Sie sich jetzt auch von Ihrem roten Faden lösen können. Jetzt geht es darum, einen guten, flüssigen Stil zu finden, sprachliche Fehler auszubügeln, die Geschichte zu vertiefen, spontane Ideen einzufügen etc.

Ein Testlesen des reinen Plots hilft Ihnen, sicher zu sein, dass Sie dabei sind, eine gute Geschichte zu schreiben. Oder - wenn sie keinem der Leser gefallen hat - sich eine Menge Arbeit und Frustration zu ersparen. Entwickeln Sie aus den für gut befundenen Resten eine neue Geschichte oder wenden Sie sich einer gänzlich neuen Idee zu. Manchmal entsteht aus einem solch frühen Testlesen auch genau so eine zündende Idee.

Angedacht ist, im Forum eine Testleserbörse aufzubauen. Vielleicht haben Sie ja Lust, sich daran zu beteiligen.



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